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Werte, Traditionen und Religion (oder so)

Dieses Thema im Forum "Offtopic" wurde erstellt von Ibex, 2. Dezember 2017.

  1. Mitarbeiter
    Ibex

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    Vergangener Austausch in diesem Thread zu gleichgeschlechtlicher Ehe :
    Auf turtles danach geäußerten Wunsch hin hier ein Offtopic-Thread für eben solche Diskussionen. Es fliegt zwar schon irgendwo einer zu Werten herum, aber der besteht auch großteils nur aus Ein- oder Zweizeilern - vielleicht finden sich hier ja auch mal längere, aussagekräftigere Beiträge.

    Zum Anfang ein paar Überlegungen zu Punkten, wo die Trennung von Religion und Staat derzeit (in Ö) noch nicht besteht, und ein allgemeinerer:

    1) Religionsunterricht an Schulen.
    Ich hatte das (zweifelhafte) Glück, immer im evangelischen und nicht im katholischen Religionsunterricht meiner (staatlichen) Schule zu sitzen, der weit weniger formell ablief als der römisch-katholische - wir waren im Grunde also meist 5-6 Schüler_innen und unsere Lehrerinnen haben uns die Unterrichtsthemen fast selbst bestimmen lassen, weshalb es eher vergleichender Religionsunterricht wurde, in dem wir die Grundprinzipien verschiedener Religionen (Christentum, Judentum, Buddhismus und Islam) kennengelernt haben, einmal in einer gemeinsamen Unterrichtsstunde mit den Katholiken die Unterschiede zwischen evangelisch und katholisch thematisiert haben und diverse Lehrausgänge zu religiösen Stätten hatten. Das war im Grunde ganz cool und mE sinnvoll - wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft zusammen mit Leuten verschiedener Religionen, und da mal sachlich und objektiv darüber zu lernen, was denn diese Religionen ausmacht ist definitiv wertvoll.

    Allerdings ist das eben keineswegs die Norm eines Religionsunterrichts, und die armen Schweine im röm.-kath. Unterricht hatten bspw. Tests, für die sie die Namen diverser Heiliger auswendig lernen mussten. Das an einer staatlichen Schule zu verlangen und die Lehrer_innen dafür aus öffentlichen Mitteln zu bezahlen ist mE nicht zulässig, und dasselbe gilt für jede andere Art des Religionsunterrichts im eigentlichen Sinne, wo die Werte und das Wissen einer einzigen Religion propagiert werden (womöglich auch noch mit einer tüchtigen Portion Abneigung gegen alle anderen Werte).

    Viel wertvoller und wichtiger wäre allgemeiner Ethikunterricht, der die Werte verschiedener (religiöser und "rein" philosophischer) Systeme beleuchtet und diskutiert. Ein solcher Einführungskurs könnte sehr viel zur gegenseitigen Verständigung und der eigenen Entwicklung als moralisch handelndes Individuum in einem größeren sozialen Rahmen beitragen. (Ich finde John Rawls' Theorie der Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang extrem spannend, gerade da bietet sich mE sehr viel Gelegenheit zum Nachdenken, Diskutieren und Lernen.)

    2) Gesetzliche religiöse Feiertage.
    Feiertage sind sehr angenehm, daran gibt's nichts auszusetzen, aber Arbeit an bestimmten Tagen zu verbieten (und da zähl ich Sonntage jetzt dazu), weil sie in einer der im Land vertretenen Religionen bestimmte Signifikanz haben widerspricht der Gleichbehandlung aller Religionen vom Staat aus. In einem Webcomic habe ich kürzlich die Idee gelesen, stattdessen zusätzliche Urlaubs- bzw. schulautonome Tage zu vergeben, die dann frei gelegt werden können, den fand ich ganz gut. (Die genaue Anzahl dieser Tage zu bestimmen wäre auch noch eine nicht ganz leichte Aufgabe, zumal verschiedene Bundesländer da eigene Regelungen haben. Da ist schon die Übersicht nicht leicht.)
    Allerdings machen fixe freie Tage es vielleicht leichter, bspw. Familientreffen zu organisieren (weil schon von vornherein klar ist, dass da vermutlich alle können). Was denkt ihr?

    3) In Bezug auf Werte allgemein bin ich ein Fan der Werte und Ideale der Aufklärung und (etwas paradox) des Skeptizismus. In meiner eigenen Bildungskarriere wurden die mE recht schmählich vernachlässigt, eigentlich hatten wir nur in Deutsch mal was darüber, und im öffentlichen Diskurs kommen sie kaum vor, selbst dann, wenn Leute sich mal auf die daraus entsprungene allgemeine Erklärung der Menschenrechte beziehen.
    Die grundlegenden Prinzipien der Vernunft und Wissenschaft (und/als) das systematische Hinterfragen und Untersuchen gegebener Sachverhalte bleibt mE überhaupt ziemlich auf der Strecke in Bildung und öffentlichem Diskurs - alles wird zersplittert in einfachere, themenbezogene Fragestellungen, Argumente werden als Soldaten anstatt zur Begründung eingesetzt, und die eigentlichen Gründe für die eigenen Überzeugungen (die oft nicht in den vorgebrachten Argumenten bestehen, wie sich deutlich zeigt, wenn ein Argument widerlegt wird und dann nur das nächstbeste vorgebracht wird) bleiben oft unausgesprochen. Vielleicht sind diese Prinzipien einfach schlecht lehr- und noch schlechter testbar, aber das glaube ich eigentlich nicht. Da muss mehr gehen.

    Aber das hier wird immer länger und war schon anfangs nicht ganz übersichtlich, ich glaub ich brech hier mal ab :D Vielleicht findet sich ja etwas Reaktionswürdiges und/oder jemand anderer will seine eigenen Gedanken dazu einbringen. Irgendwie wurde es jetzt weniger meta und vielleicht auch nicht ganz zu dem von turtle gewünschten Thema passend als ursprünglich geplant. Aber dann muss sie halt selbst was dazu schreiben, dieser Thread hier ist jedenfalls dafür offen :)
     
  2. turtle

    turtle Member

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    Danke erstmal @Ibex für den gelungenen Beitrag. Besondere Wünsche hatte ich eigentlich gar nicht. Wollte eventuell nur eine Diskussion starten und hatte mich für die Meinungen anderer interessiert :)
    Ich kann zum Religionsunterricht an Schulen etwas beitragen und da meine eigenen Erfahrungen erzählen. Ich war auf einem privaten christlichen Gymnasium und hatte katholischen Religionsunterricht. Ich bin aber bekenntnislos. In der Grundschule hatte ich Ethik Unterricht. Von der 5.-8. Klasse war der Religionsunterricht für mich eine echte Qual, aber das war definitiv die Schuld des Lehrers. Wenn nur von der Bibel und dem Christentum gesprochen und auf die Kenntnisse der Grundschule gebaut wurde, dann hatte ich schlichtweg verloren. Glücklicherweise ging ab der 9. Klasse alles richtig gut. Hatte sogar meine Bestnoten im Religionsunterricht erzielt, weil es da eher um Wertvorstellungen und das Kennenlernen verschiedener Religionen ging. Es ging auch mehr darum mit anderen zu diskutieren. Bin aber auf jeden Fall dafür, dass man offiziell den Ethik Unterricht anbieten sollte. Den gibt es in den meisten staatlichen Schulen in DE, aber finde auch Philosophie in der Oberstufe genau so gleichwertig. Leider ist es aber wirklich so, dass im Religionsunterricht eine Religion "propagiert" wird.
     
  3. Mitarbeiter
    Ibex

    Ibex Moderator

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    Gern geschehen :)

    Wir hatten leider keinen Ethikunterricht - es war mal im Gespräch, aber wurde nichts daraus. Ich weiß nicht, ob dafür einfach zu wenig Leute nicht am Religionsunterricht teilgenommen haben (obwohl wir ab der Oberstufe mehr waren als die im evangelischen, wenn ich mich recht erinnere) oder es an irgendwas anderem gescheitert ist.
    Wir hatten ein kombiniertes Fach Psychologie und Philosophie, leider mit einer recht schwachen Lehrerin. Das war an sich keine schlechte Idee und unser Lehrbuch auch sehr interessant, da hätte man mit besserer Qualität und evtl. mehr Stunden schon was anfangen können.

    Was ja auch logisch ist. Religionslehrer_innen haben ja nicht mal notwendigerweise Ahnung von Dingen außerhalb ihrer Religion und werden (zumindest hier in Ö, weiß nicht wie's in D ist) von ihren religiösen Organisationen und nicht vom Staat ausgebildet, wie sollen sie da etwas anderes lehren?
     
  4. illecebrousworld

    illecebrousworld Member

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    Also besonders für das Thema Religionsunterricht kann ich vielleicht auch was mit meinen Erfahrungen beisteuern. Ich glaube ich hab da ziemlich viele Variationen durch gemacht.

    Meine Eltern sind beide selber nicht sonderlich religiös aufgewachsen und sind dann als Erwachsene aus der Kirche ausgetreten (mit dem Hauptgrund Kirchensteuern; das wär vielleicht auch noch ein Diskussionsthema). Der einzige meiner Geschwister der getauft ist, wurde indianisch getauft :D . Also war Religion bei uns Zuhause eigentlich wirklich nie ein Thema.
    Aus irgendeinem Grund haben mein großer Bruder und ich in der 1./2. Klasse trotzdem beide bei der AG Christenlehre mitgemacht (die Schule hatte keinen Reliunterricht). Das hat mir persönlich sehr viel Spaß gemacht. Das war dann sowas wie Kuchen essen, Mandalas ausmalen und Bibelgeschichten hören. Etwa zur gleichen Zeit kam aber auch mein erstes negatives Erlebnis mit dem Christentum. Was eine Übernachtung bei meiner besten Freundin beinhaltet (die selber relativ religiös ist und eine recht religiöse Familie hat) und ihr Hörspiel einer Kinderbibel und der Geschichte um Kain und Abel und wie sie sich ggseitig abmurksen.

    Nach der 2. Klasse ist meine Familie dann in die vereinigten arabischen Emirate gezogen. Dort gab es ebenfalls keinen Religionsunterricht und außerdem bin ich in regen Kontakt mit dem Islam gekommen. Außerdem mit viel Diskussion über Islam vs. Christentum. Z.B. christliche Sri Lankaner, eine muslimische Deutsche die ziemlich narrow minded war, und extrem lieben und Welt offenen Arabern. Nur mal so um eine Idee des Spektrums zu bekommen. Die VAE sind halt ein Land mit 85% Einwanderern, da gibts eine riesige Pluralität an Menschen, Meinungen, Lebensweisen etc. Das einzige was wir da in der Schule hatten war "Social Studies" um das Land und sein System kennen zu lernen. In dem Fach haben wir dann ein bisschen was über den Islam gelernt.

    Ein paar Jahre später sind wir dann nach Bayern gezogen. Erz katholisch, konservativ. Ziemliches Kontrastprogramm.
    In Bayern gibt es verpflichtenden Religionsunterricht von der 1. bis zur 12. Klasse. Vorallem an den Grundschulen gibt es häufig weder Evangelisch oder Ethik. Dann darf man halt (wenn man eine andere Konfession/ einen anderen Glauben hat) in der Stunde lesen oder so.
    Ich war damals in der 8. Klasse und musste mit in den Katholischunterricht, da ich die einzige aus der ganzen Klasse gewesen wär die das nicht gewählt hätte. Und ich fands schrecklich. Als ich mich ein Mal im Unterricht gemeldet habe und verkündete dass ich den Papst nicht fehlerfrei und toll finde und dass der Sachen veranlasst hat die ich nicht gutheißen kann, wollte die Lehrerin meine Meinung nicht akzeptieren, hat mir eine schlechte Note gegeben und mich danach erstmal nicht leiden können. In der Zeit hat sich meine "Kirchenablehnung" entwickelt. Zusätzlich zu diesem Unterricht geht man in Bayern mit der ganzen Schule zur Kirche und in jeden Raum hängen Kreuze. Das hat das ganze noch verstärkt. Außerdem bin ich irgendwan ausversehen in einem rein katholischen Gottesdienst gelandet aus dem ich nur noch weiß dass im Prinzip alle gepredigt haben "Ich bin scheiße. Ich bin scheiße. Ich bin scheiße." Was ich ziemlich krank finde.

    Zum Glück bin ich irgendwann dann doch in einen Ethikunterricht gekommen. Den ich als sehr interessant und lehrreich empfunden hab. Das einzige was ich dann noch schrecklich fand, was hauptsächlich mit dem Religionsverhältnis in Bayern zu tun hat, ist dass man entweder Reli oder Ethik halt von der !. bis zur 12. Klasse durchgehen nehmen muss. Ich finde Ethikunterricht ist wichtig (das beinhaltet auch etwas über das Christentum zu lernen). Aber auch der ist nicht 12 Jahre lang notwendig. Geschweige den Religionsunterricht. Zum einen haben Kinder noch gar keine Orientierung in der Welt und kaum eine eigenständige Einstellung zu dem Thema Religion, und werden dann zu Religionsunterricht verpflichtet. Zum anderen hat man in der Oberstufe wirklich genug anderes zu tun, als das man ein irgendwann unwichtiges Fach wie Religion wirklcih nicht noch zusätzlich oben drauf braucht.

    Mein Leben bis jetzt hat mich zum jemandem gemacht der Religion und vorallem die christliche Kirche nicht ausstehen kann und aus tiefsten Herzen ablehnt. Dass man mal ein soziales Konstrukt gebraucht hat um seinem Leben einen Sinn zu geben und um Ordnung in der Welt zu schaffen, ok. Versteh ich. Dass es immer noch Leute gibt für die Religion sehr wichtig im Leben ist, auch ok. Solange ihr mich oder andere nicht damit einschränkt. Oder sie zur Rechtfertigung für Kriege und Unglück missbraucht. Auch seinen eigenen Glauben jemand anderem aufzwingen zu wollen und sich selbst für was Besseres hält wegen seiner Religiösität, das finde ich schrecklich.
    Ein erwachsener Mensch kann die Entscheidung bewusst machen der Kirche beizutreten, aber die ganze Schulzeit von irgendwelchen Hirne waschenden, Lehrern beschallt zu werden finde ich schrecklich !

    Ich glaube ich habe irgedenwo den Faden verloren, dafür entschuldige ich mich. Hoffentlich kann man sich trotzdem was aus meinem Beitrag ziehen und mitnehmen.
     

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